Von: Dirk Lämmel, Peter Ille, Alexej Kolyschkow, Bea Meyer, Michael Grzesiak, Clemens Zirkelbach, alle Leipzig
Mitarbeiter:in: Tobias Eussner
Fachberater:innen: Mathes Beratende Ingenieure, Dr. Matthias Stengler, Leipzig; Typografie: Prof. Anna Lena von Helldorff, Leipzig/München
Erläuterungstext:
Wir sind der Überzeugung, dass das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal einerseits an die Freiheitssehnsucht und die Selbst- ermächtigung der DDR–Bürgerinnen im Jahr 1989 erinnern soll, und andererseits an die mit ihr verbundene Verantwortung, die mit der Erlangung persönlicher Freiheit für ein gelingendes Gemeinwesen einhergeht. Wir möchten das Mut-Fassen, das Sich-Trauen, das Sich-Vergewissern und das Sich- Verbinden sichtbar und emotional erfahrbar werden lassen. (…) Würdigung soll in unseren Augen der Akt der Menschen erfahren, unter der Bedrohung des eigenen Lebens und sich für Freiheit bekennend auf die Straße zu gehen. Gleichzeitig wollen wir die Meinungs- und Versammlungs- freiheit als die Grundrechte feiern, die wir als Schlüssel-momente der Friedlichen Revolution sehen. Sie sind der erste Schritt, um weitere Menschenrechte einzufordern. Die Ereignisse von 1989 lesen sich heute wie aufeinander folgende Schritte einer linearen Chronik. Und doch sind es eigenständige Tage, räumlich und zeitlich gestreute Ereignisse, deren Folgenschwere sich erst retrospektiv erschließt. Die Menschen haben, sich versammelnd, diskutierend, sich austauschend, mit jeder ihrer Zusammenkünfte, die Geschichte einen Schritt in Richtung Freiheit und Einheit bewegt. Für dieses Bild der Streuung und Verdichtung in Leipzig entwickeln wir eine künstlerische Entsprechung. Wir wollen diese ereignisreichen Tage, diese »Vernunft der Straße« (Christoph Hein) im kollektiven Gedächtnis festhalten und sie in den neuen Park einschreiben, in Wegen und Wiesen festhalten, in Straßen und Plätzen sichtbar werden lassen – in der Öffentlichkeit, dort wo es Menschen mit ihren Vorstellungen und Wünschen hingezogen hat, um ihre Standpunkte zu vertreten. Die Selbstermächtigung, sich wieder und wieder zur Meinungsbekundung auf der Straße zusammenzufinden, der explizit formulierte Verzicht auf Gewalt und die Bereitschaft zum positiven Dialog sehen wir als die entscheidenden Momente der Geschehnisse in Leipzig. Für diese Momente wollen wir einen offenen, städtischen Gedenk-, Erlebens- und Projektionsraum schaffen. Die von uns vorgeschlagene Konfiguration lädt über ihren skulpturalen Ausdruck und ihre Streuung im Park ein, sich die Geschehnisse von 1989 zu »vergegenwärtigen«, ihre Universalität zu spüren, die Bedeutung für heute und die Zukunft wahrzunehmen und sich davon inspirieren zu lassen. Banner, Fahnen und Transparente sind Sinnbild, eigene Überzeugungen in den öffentlichen Raum zu tragen. Als abstrakte Skulpturen sind sie Symbole für den mutigen Schritt ein Zeichen zu setzen, mit einer Botschaft die eigene Haltung in den Raum zu stellen, für seine Meinung die Verantwortung und die Konsequenzen zu tragen, den Mut trotz Unterdrückung und Bedrohung hinter einer Sache zu stehen und mit den eigenen Überzeugungen den Diskurs mit der Gemeinschaft zu suchen und zu führen.
Jurykommentar:
Der Entwurf „Banner, Fahnen, Transparente“ überzeugt das Preisgericht durch seine zugleich abstrakte und konkrete Würdigung eines zentralen Elements von Protestbewegungen im Allgemeinen und der „Friedlichen Revolution“ von 1989 im Besonderen. Die kraftvolle Inszenierung der 50 über den Platz verteilten Objekte, in den Boden gesteckte Banner, Fahnen und Transparente, überlässt den Betrachtenden Raum für Assoziation, Aneig-nung und Partizipation. Die nahbaren Objekte haben eine jeweils eigene, differenziert gestaltete Form und Größe. Gemeinsam ist den Transparenten jedoch ihre Materialität, weiß lackierter Edelstahl, und die Leere. Sie zitieren also keine Parolen, sondern fungieren als noch unbeschriebene Projektionsflächen. Insofern konstituieren sie einen Freiheits- und Möglichkeitsraum, zugleich lassen sich die weißen Flächen als Signal einer friedlichen Ge-sinnung interpretieren. Bemerkenswert ist die künstlerisch hergeleitete Platzierung der Ob-jekte, die durch eine ungleiche, spontane „Streuung“ im Landschaftsraum und sensible Setzung gekennzeichnet ist. Die mögliche Überschreitung des bisher angedachten Planungsbereichs wird vom Preisgericht als Qualität anerkannt. Der planerische Rahmen für den Ökotopia-Park auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz wird somit sensibel durch ein präg-nantes Denkmal ergänzt. Die Gruppen der Transparente verdichten sich im nordwestlichen Teil des Platzes, als stünden dort viele Protestierende unmittelbar beieinander, während sie an anderen Stellen in kleineren Gruppen oder gar nur vereinzelt auftreten. Das veran-schaulicht auf beeindruckende Weise das Risiko und die Dynamik von Protestbewegungen: Oft sind es zuerst nur Einzelne, die den Mut fassen, sich mit einer Meinungsäußerung zu exponieren, vielleicht bleiben sie auch alleine oder werden gar abgestraft, manchmal aber finden sie Gleichgesinnte, aus Wenigen werden viele, an denen schließlich kein Weg mehr vorbeiführt. Einen direkten Bezug zu den Ereignissen von 1989 stellt der Entwurf insofern her, als in den Boden über den Platz verteilt insgesamt sechzehn Ziffernzüge aus Aluminiumguss eingelassen sind, auf denen die historisch wichtigsten Daten – die „irregulären Tage“ (Michael Schade) – der Ereignisse rund um die „Friedliche Revolution“ benannt sind. Die Leere der Transparente lädt in subtiler Form zur gedanklichen Befüllung der Transparente ein, die leichte, spontan in die Wiese eingesteckt wirkende Form macht die Objekte zum nahbaren Gegenstand des Alltags. Kontrovers diskutiert das Preisgericht die Frage der aktiven Partizipation, die sich im schlechten Fall in Form von Vandalismus ausdrückt. Für beides bietet das Denkmal die Plattform und es gilt ein angemessenes Konzept zu bieten. Eine im Entwurf bereits benannte, das Denkmal begleitende Website mit weitergehenden Informationen zu u.a. den im Boden genannten Daten ist ein Ansatz, der vom Preisgericht unterstützt wird, aber als allei-nige Antwort noch nicht ausreicht, um das Potential dieser offenen Frage auszuschöpfen. Hier bleibt offen, mithilfe welcher Choreographie die Besuchenden die Anregung zu Mut und Meinungsfreiheit abstrakt oder konkret zu Anteilnahme aufgefordert werden, eigene Meinungen zu entwickeln, zu diskutieren und zu manifestieren. Sicherzustellen ist, dass diese Prozesse zwar zur Diskussion der Grenzen der freien Meinungsäußerung und des Ringens für Freiheit anregen, aber der friedliche und respektvolle Rahmen aber gesichert wird. Insgesamt ist der Entwurf ein hervorragender Beitrag zum Wettbewerb, der vom Preisgericht für sein schlüssiges Gesamtkonzept ausgezeichnet wird, das dauerhaft einen kraftvollen und inspirierenden Ort für die würdevolle Auseinandersetzung mit Kernfragen der Demokratie schafft.